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Liate Wote Tag 2
Der Tag beginnt mit der Befreiung aus dem Doppelbett, also rüber über Carla und raus aus dem
Moskitonetz und rein in die Latschen. Nächstes Ziel: Klo. Aber Klo ist ja bekanntlich nicht gleich
Klo. Aufgestellte Schilfmatten und Steinboden, laß laufen, was kommt...
Unsere Unterkunft gleicht einem Bungalow zu DDR-Zeiten: ca. 4m lang, 2m breit, Doppelbett,
Trennvorhang, Couch, Regale, Fenster mit Fliegengitter, ebenso die Tür. Das einzig Negative:
stickiger Geruch, Schimmel, vermoderte Kissen. Ansonsten Luxus pur. Andere teilen sich ein Bett,
das kaum für einen ausreichend ist.
Das Frühstück ist wie immer, nur nicht ganz so vielseitig. In der provisorischen Küche wird Tolles
geleistet. Salatteller, Weißbrot, Haferbrei, Tee, Kaffee.
Von weitem hören wir schon tolle Gesänge. Die Vorbereitungen für den Gottesdienst laufen bereits.
Auch dort erwartet uns etwas Besonderes: der neue Pfarrer vom gesamten Kirchenkreis wird eingeführt.
Wir sitzen ganz hinten, haben aber einen guten überblick. Die Kirche füllt sich, die Frauen in den
tollen Gewändern sehen sagenhaft aus. Erstaunt war ich nur über die teilweise europäischen Frisuren.
Der Chor zieht ein. Toller Gesang, Trommelschläge. In der Kirche wirkt es zauberhaft. Schräg rüber
springen die Mamas auf, fangen an zu singen, tanzen, bewegen sich rhythmisch zu der Musik. Die
Szenerie scheint sich von einem Gottesdienst zu einem Volksfest zu wandeln. Unbeschreiblich schön.
Die Kirche scheint für die Menschen sehr wichtig. Obwohl sie arm sind, putzen sie sich heraus, als
ob es nichts anderes gibt. Auch die Kinder kommen in schönen Kleidern, Hemden, Hosen.
Der erste Chor kommt in die Kirche, gekleidet in lila Roben. Gospel-Medleys erklingen. Der Pfarrer,
ein Albino, spricht in einer afrikanischen Sprache – nichts verstanden.Toll, Erstaunen, ein zweiter
Chor beginnt schon vor der Kirche zu singen. Ihre Roben gleichen denen amerikanischer
High-School-Abgänger, schwarz-weiß!
Der gesamte Gottesdienst war in Ewe, einer afrikanischen Sprache, auch die wenigen Teile in Englisch
waren schwer zu verstehen, wegen des Dialekts. Schade eigentlich.
Es ist schön, sich nebenbei mit den Kindern über Zeichensprache zu verständigen. Ein Lächeln hier,
ein Winken da, erstaunte große Augen auf beiden Seiten. Ich verstecke mich hinter meinem Vordermann,
das Kleinkind wundert sich, ich tauche wieder auf und das strahlende Lächeln reicht von einem Ohr
zum anderen. So leicht kann man für ein paar Minuten Freude verbreiten. Die Kinder freuen sich hier
sowieso über jede Kleinigkeit. Nach dem Essen läuft hinter mir ein kleiner Junge mit einem
Plastikröhrchen, in das er hineinbläst und aus dem ein Pfeifton erklingt. Ich pfeife zurück.
Verwundert überlegt er, wer das war. Ich drehe mich um, pfeife wieder, er „antwortet“. So geht das
eine ganze Weile. Jugendliche auf der Straße finden das toll, lachen, freuen sich über unser Spiel.
Ich gehe einen anderen Weg weiter. Der Junge pfeift vor sich hin. Ich antworte immer noch. Unser
Pfeifen erklingt durch die Straßen, andere Kinder schließen sich uns an. Was sie wohl empfunden
haben? Für mich jedenfalls eine tolle Erfahrung.
Wir sammeln uns, es geht los zum Wasserfall. Quer durch den Wald, fast regenwaldmäßig. So wie man
bei uns an Apfelbäumen vorbeigeht, zeigt uns der Guide aus dem Dorf Kaffeesträucher, Kakaobohnen,
Bananen, Ananas und leckere Beeren. Man kann theoretisch nicht verhungern. Das beeindruckt mich
sehr, ja, die Menschen leben hier davon, Susanne erzählt, daß das alles ein „Farmdschungel“ ist.
„Oh, guck mal da!“ – „Das muß ich fotografieren!“ Fast lächerlich und doch etwas Besonderes,
Exotisches. Es ist Realität, und doch wie im Film, auch das muß verarbeitet werden, genau wie die
Begegnungen mit den armen, aber lebensfrohen Menschen, ihrer Art zu leben...
Eine Ameisenstraße auf dem Weg. Losrennen, nicht lange stehenbleiben. Einige hat es doch
erwischt...
Entlang an einem Bach, schöne Geräuschkulisse. Gegen den Strom...
Eine Lichtung, eine vielleicht 30m hohe Felswand, grün bewachsen, mitten im Wald. Wasser stürzt in
die Tiefe. Traumhaft!
Kein Halten mehr, rein ins Wasser. Die Angst vor Würmern – längst vergessen. Unbeschreiblich schön.
Man steht unterm Wasserfall in Afrika...
Der Rückweg ist angenehmer, abgekühlt. Man findet wieder viel zum Probieren. Kakaobohnen werden
aufgeschnitten. Das Fruchtfleisch ist köstlich, ähnlich wie Lychee, der Kakao eher bitter, noch
etwas unreif. Andere Früchte vom Baum schmecken wie Multivitaminsaft. Toll!
Die Jungen aus dem Dorf bieten mir rote Früchte an. Sie meinen „sweet like sugar“. Gar kein
Ausdruck, gleicht unserem Süßstoff. Danach schmeckt alles süß, die Luft, die man atmet, das Wasser,
das man trinkt ... Sie freuen sich über die Schokolade von Carla, tragen ihre Sachen. Sie
verschenkt kleine Spielsachen. Schüchtern und verunsichert nehmen sie an. Die großen Augen der
Kinder beobachten jede Bewegung von uns genau, neugierig, interessiert, fremd.
Zum Abendessen versammeln sich wieder alle unter dem Dach auf Nawusee´s Gelände. Es gibt Yamsbrei
mit Fischsoße, dazu so etwas ähnliches wie Spinat. Auntie Matie ist eine tolle Köchin, sie zaubert
herrliche Sachen. Das Küchenpersonal ist auch total nett. Gerade habe ich beim Abwasch geholfen,
nachdem mich Atissu, Joseph und Samuel, unsere Trommellehrer, zum Essen eingeladen haben. Sie aßen
Kinki, eine Art Maisbrei mit Soße.
Nach dem Essen unterhalten wir uns noch mit Kofi und Susanne, den weiteren Abend verbrachten wir
wieder in „Stella´s Inn“, dem örtlichen Pub. Kartenspielen, Singen, Tanzen, Erzählen. So lernt man
Afrika kennen. Man erfährt hier so viele interessante Dinge. So erzählte Susanne auch, daß bei den
Traditionellen hier im Dorf immer noch verbreitet ist, der Wasserfall sei ein heiliger Ort. Die
Frauen, die menstruieren, dürfen in dem Wasser nicht baden. Auch das Familienleben ist hier sehr
strukturiert. So müssen die Jüngeren machen, was die älteren sagen, müssen alle Dienstleistungen
erfüllen. Dafür müssen die älteren Geschwister dafür sorgen, daß die Jüngeren eine Schulausbildung
erhalten. Die wichtigste Frau im Leben eines Mannes ist immer die Mutter, ihr Wohl geht über alles.
Auch der Respekt vor den Eltern ist hier größer. Wenn Kinder von ihren Eltern angesprochen werden,
müssen sie immer antworten, nicht nur mit „yes“, sondern mit „yes, Daddy“, ansonsten gilt es als
unhöflich.
Im Pub amüsierten wir uns köstlich, Atissu erzählte von seiner starken deutschen Freundin und noch
viele andere Sachen. Auch mit Samuel und Joseph unterhielten wir uns viel.
Nach einem Spaziergang zum Klo fielen Carla und ich erschöpft ins Bett, noch ein bißchen erzählt
und eingeschlafen.
Bei den Kindern, wenn ich sie so ansehe, fallen mir einige Liedtexte ein. Ein Einblick?
Grad hörte ich die Nachricht aus jenem armen Land.
Sie gab den Tod der Kinder, nichts als den Tod bekannt.
Mir fehlen die Kinderlieder, ihr Lachen und Spielgeschrei,
Ich ahnte nicht, daß sie sterben, nun füllt sich mein Herz mit Blei.
Die starren Augen der Kinder, die Mutter und Vater ansehen,
und dich und mich, sie fragen,
Warum mußte das geschehen?“
Wie kann denn friedlich leben, wer nur die Hände ringt?
Wenn aus dem Schwarz der Hütte dies Hungerweinen dringt?
Dort liegen die Kinder schlaflos, in Lumpen gehüllt so müd,
nicht schuldig am Krieg sie leiden, so oft er das Land überzieht.
Die starren Augen der Kinder, die Mutter und Vater ansehn, auch dich und mich und sie fragen
Warum muß uns das geschehen?“
Vielleicht drückt auch das folgende Gedicht aus, was viele hier denken, vielleicht auch nicht
verstehen:
TOD
So schwarz, so tief, so dunkel
Und so unheimlich weit weg.
Doch dann wieder ganz nah.
Und fast neben mir.
Das Sterben der Kinder in der dritten Welt.
Die Menschen, die verhungern müssen und schon froh sind, wenn sie eine halbe Hand voll Reis bekommen.
Daneben diejenigen, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld.
Die Menschen, die im Champagner baden und sich nicht entscheiden können,
in welchem ihrer fünf Wagen sie sich fahren lassen sollen.
Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Ich frage mich, wenn es Gott wirklich gibt
und er alle Menschen gleich liebt, warum läßt er die einen dann im überfluß leben
und die anderen an Hunger sterben?
Warum, wozu das alles?
Sollten wir nicht versuchen, die restliche Zeit, die uns noch bleibt,
friedlich und gerecht miteinander zu verbringen?
Irgendwann kommt für jeden einmal die Zeit.
Doch dann ist es zu spät
und der Tod ist so schwarz,
so tief und dunkel und plötzlich ganz nah.
Da fragte doch jemand: „Wieso fährst Du nach Ghana? Da sind die Menschen so arm!“
Und ich dachte nach und sagte: „Es ist nicht wichtig, wo du hinfährst, sondern welche Menschen du
triffst!“
Grit
Nachtrag Liate Wote
Samstag: Ein neuer Pfarrer wird eingeführt vom District-Pfarrer (Programm siehe nächste Seite) der
E.P.-Church in Ghana. Etwa 400 Leute gehören zur Kirchengemeinde im Dorf. Manche sind zu arm, um
regelmäßig ihre Spenden beim Gottesdienst geben zu können und kommen deshalb nicht mehr ...
Wir werden als „German group“ im Gottesdienst begrüßt. Auch die drei anwesenden Chiefs werden extra
begrüßt und wünschen dem neuen Pfarrer ihrerseits alles Gute „with the help of Jesus Christ“. Wir
tanzen zum Altar und geben eine Spende in eine rote Plastikschüssel...
Die Kirche ist traditionell moralisch, und sie stützt damit das ganze System hier. Alles läuft
darauf hinaus, daß nur das gemacht wird, was einem von den Eltern gesagt wird. Niemand wird zur
kreativen freiheitlichen Entscheidung erzogen. Die Afrikaner begreifen sich auch überhaupt als
Glied in einer langen Kette von Tradition und von Ahnen. Immer sind sie umgeben von Leuten, die
sie leiten (die Verstorbenen). Schon ehe der Mensch geboren wird, hat er einen Spielgefährten im
Jenseits. Unter Umständen holt dieser Spielgefährte einen auch zurück (Schutznarben im Gesicht –
Eco)
Es gibt ein amerikanisches Entwicklungsprojekt für Tourismus in Liate Wote. Dazu gehören Werbung
in Accra, Straßenschilder, T-Shirts und Beratung des Tourismus-Kommittees in Liate-Wote. Der
Vorsitzende des Kommittees ist ein Chief-Verwandter und läßt sich deshalb manchmal wenig sagen:
z.B. daß Betonhäuser schlechter sind als Lehmhäuser und Schaumgummimatten schlechter als Bastmatten.
Matthias A.
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